ERLÄUTERUNGEN ZU TEXTE UND HALTUNG

Von Rupert Nickel

Rietzkes Texte waren von den Alben „Young Lovers“ bis zu „Back to the Roots“ immer kritische, auf unterhaltsame Art und Weise geformte Bemerkungen oder Betrachtungen gesellschaftspolitischer Strömungen. Trotzdem spielen die Texte eine sekundäre Rolle und hatten nie den Anspruch poetisch oder lyrisch zu erscheinen. Die Texte in Englisch zu verfassen, hatte einzig den Hintergrund, die Songs und Auffassungen einem globalen Publikum näherzubringen. Vorrangig zielten die spöttischen und satirischen Aussagen auf nationale oder regionale Missstände in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Religion ab. Oft nahm er aber auch sich selbst oder seine eigene Generation ironisch auf die Schippe, ohne dabei in Zynismus zu verfallen.

Die faschistoiden Entwicklungen in der BRD 1980 überspitzte er in „Is this the lastThe Locals Live - MR 1983 attempt for resque of this Nation“ (Young Lovers, 1980). Mit „Let me see what is in you“ (Young Lovers) prangert Rietzke die miesen und verabscheuungswürdigen Praktiken von Religionsgemeinschaften an, die junge Menschen mit falschen Versprechungen täuschen und versuchen diese an sich zu binden, („The Bishop with the red slip, got his hands on you, lifts up your little dress and his holiness comes into you“). Never Mind nimmt den Teenage-Musikjournalismus aufs Korn. Die prominente Position von Musik-Schreiberlingen, die die Neigung junger Leute zur Schwärmerei ausnutzen um diese gnadenlos mittels ebenfalls junger Bands und Künstler kommerziell zu manipulieren, ist das eigentliche Thema von „Never Mind“. Die Cover von „Young Lovers“ und „Never Mind“, kreierte die hannoversche Künslerin Rosa Albert. Sie ist leider mit knapp dreißig Jahren viel zu früh verstorben. Auf „Best of“(1982) mimt Rietzke einen Yuppie-Manager, der in selbstverliebter, selbstüberschätzender Manie glauben, die Welt zu beherrschen. Als Beispiele seien genannt: „We like you“ (We are highflier boy’s, sense of beauty and joy), oder „I’m not wasting my time“ (I’m not wasting my time; well I know what I want) Die in den 1980er Jahren aufkommenden Game-Shows parodierte er auf dem selben Album mit „Make me laugh“ (Baby you wanna aroma, baby you wanna lights?) Auch „Of ya own risk“ (1984) ist ein ironisches Gesamtpaket auf dem mit „Cowboy“ Ronald Reagen und der Zeile „My pants stinks little funny…….“ parodiert wird. Auf “Love is not easy” (1983) nimmt Rietzke private Ereignisse ins Visier und überspitzt die Alltäglichkeiten von Liebesbeziehungen so, dass die Grenzen zu Texten der tatsächlichen Popmusik verwischen.

MR 4Auf „The Best“ (1985) und „Back to the Roots“ (1991) allerdings, sind die textlichen Aussagen, Anspielungen auf ein Höchstmaß an Satire und Ironie entwickelt. „My House“ beschreibt die häusliche Situation wenn Banalitäten die Oberhand gewinnen, „Sheik and naked titties on the beach“ nahm das sich zuspitzende Problem zwischen der islamischen- und der westlichen Welt vorweg. (He is a sheik; he lives in a desert, behind the mountains, with lambs, one day he went to the coast and was very surprised). „Silicon Valley“ machte sich über den Größenwahn von Leuten der Garagen-IT  lustig (This time is your time, how much is your independent TV screen, Please check the time and go to the real right place). Der Text in „Tempting Girl“ fokussiert sich auf den faulenden Weltapfel (Well, she wants love now, dirty wet love now!). „Useless Wanker“ ist die Geschichte eines Schulleiters einer Kleinstadt nahe bei Hannover, der selbst die Mädchentoiletten überwacht, welches letztlich zu einer großen Einsicht führt (Don’t look in every cleft, don’t look in all the holes, obey the rules but make sure no one knows of your holes). „Motherfucker Master“ sind Gedanken eines älterwerdenden Freaks mit der markanten Textzeile „88 Macho, magic fellatio“. Das Stück „Ocean“ ist eine Persiflage auf dogmatische und starrsinnige Sofa-Umweltaktivisten (You sit at home, yeah so alone, you think you fight but it’s not right, in the middle of twighlight). „Mama Macho Boy“ ist eine Satire auf sich selbstüberschätzende, erfolgreiche Jungmanager, damals Yuppies genannt wurden. (Stop your weeping, weeping in my ear, If you don’t know where to aim you will allways be the same.) „Yurupp is scared“, ein Instrumentalstück und wies bezüglich der Ängste über die Stationierung der Cruise Missile Raketen in Europa auf den Hype der „Rap-Songs“ und  „Progress Breakdancer“ aus den USA hin, mit denen man die Angst vor Raketen überwinden könne. (A song for progress Breakdancers. Have you just tried to dance do it? If you make it you lose your fear of Missiles).

Die Veränderungen der Blöcke von Ost und West, die Veränderungen in Südafrika, das Vorgehen Chinas gegen die eigene Bevölkerung sowie die Überheblichkeit der deutschen Wendeträger wer denn jetzt die Guten seien, sezierte er musikalisch wie textlich bissig und satirisch auf „Back to the Roots“ mit Titeln wie „Heavy Refoms“ (Who`s got the finger, the finger in the Pie, they make the peaceful Revolution, and ditch the Corrupt hights), erzählt von einem fadenscheinigen Vereinigungswillen, welcher unter dem Deckmantel der Verbrüderung von Beginn an nur auf wirtschaftliche Interessen fokussiert war. Der Protagonist „Randy Bloke“ rast über die Welt und richtet als Berater und Waffenhändler in Krisennationen überall Chaos an, ohne den Blick auf sein Bankkonto zu verlieren. (First aid for Africa, first aid for Indians, for freedom, for money, for my heavenly bank account). „One Nation, One Disease“ nimmt die Kuschelansichten des damaligen „Neuen Forums“ unter die Lupe, (She was so cute and a fine girl, with the predilection for tasty dairy products).  „Shut up and tell us lies“ rechnet mit den Regierenden gleich welcher Nation als Unterdrücker und korrupter, mafioser Krimineller ab, die sich auf den 1. Klasse-Decks großer Kreuzfahrtschiffe genüsslich in ihren Sonnenstühlen reckeln, (Check it always out, Mafiosi in white house).

Mit dem Entstehen des Textes 1992 zum „Prediger“ beginnt die 2. Schaffensphase von Michael Rietzke, der sich, wenn auch auf eine neue besondere Art, nicht nur mit der Musik, sondern auch mit Sprache auseinandersetzte. Darüber hinaus bedeutete die Arbeit am „Prediger“ auch das Ende aktuelle Ereignisse und Geschehnisse als Grundlage von Aussagen oder Haltungen in Songs textlich zu verarbeiten. Fortan spielten andere künstlerische Aspekte in der Bearbeitung von Texten eine Rolle.

Die humorvollen Kurzgeschichten „Kosmopolitische Experimente“ schrieb er in den Jahren 1987-1989 und in denen er den Protagonisten von seinen Reisen um die Welt berichten ließ. Witzig und hintergründig werden die Abenteuer eines erfolgreichen Enddreißigers beschrieben, dem ab und zu Zweifel ob seiner weltanschaulichen Meinungen kommen, diese aber konsequent beiseite schiebt.

Die Textfetzen die in „la visita“, „Experiment“ und „El final de la visita“ verwendet wurden, sind auch über den Text hinaus von klanglicher und musikalischer Bedeutung. Besondere textliche Bedeutung hat auf „la visita“ allerdings das Stück „Moment 4“ das ein Gespräch zwischen Vater und Sohn wiedergibt, in dessen Verlauf der Zusammenhalt und die Integrität in andalusischen Familien nachvollziehbar wird. Auf „El final de la visita“ zum Beispiel gibt das Stück „Las conversaciónes por la tarde“ die Atmosphäre am frühen Abend wieder, wenn Familien, Freunde oder Bekannte beieinander sitzen.